Die neue Zukunftswerkstatt

Die Zukunftswerkstatt mit ihrer einfachen Grundstruktur und ihren vielfältigen Varianten hat sich als ein äußert wirksames Instrument erwiesen um Organisationen im Bildungs- und Unternehmensbereich zukunftsfähig zu machen. Mit dem Dreischritt Diagnose/Wertschätzung – Vision – Umsetzung gelingt es an ein bis zwei Tagen das Wissen der Beteiligten zu vernetzen, Stärken der Organisation heraus­zuarbeiten, gemeinsam getragene Visionen zu entwickeln und konkrete Umsetzungsschritte zu benennen. Immer wenn es darum geht, das Engagement der Mitarbeiter für die gemeinsame Gestaltung der Zukunft zu mobilisieren, ist Die neue Zukunftswerkstatt erste Wahl.

Die neue Zukunftswerkstatt im Bildungsbereich

Ob es um die Entwicklung gemeinsamer Zukunftsperspektiven für die eigene Schule geht, die Fusion von Haupt- und Realschulen oder zweier Gymnasien, um die Optimierung des Unterrichts, um die Bearbeitung pädagogischer Fragestellungen wie den Ausbau der Teamarbeit, die Entwicklung von Konzepten der Inklusion und vieles mehr – stets bietet dieses bewährte Verfahren die Möglichkeit, an einem Pädagogischen Tag das Wissen der Beteiligten zu vernetzen, gemeinsame Zielvorstellungen zu entwickeln und Resonanz für den Aufbau der notwendigen Veränderungsenergie zu erzeugen. Die „Neue Zukunftswerkstatt“ basiert auf dem genialen Ausgangskonzept, das der Publizist und Zukunftsforscher Robert Jungk in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts als Methode der politischen Partizipation entwickelt hatte. In einem Dreischritt sollten die BürgerInnen zum gewählten Thema zunächst ihre Kritik (Kritikphase) formulieren, dann sich auf eine Zeitreise in eine erträumte Zukunft begeben (Visionenphase), um dann aus Perspektive der Zukunftsvision Umsetzungsschritte (Realisierungsphase) zu benennen: Was soll bis 2030 geschehen? Was bis 2020? Welchen Schritt unternehmen wir Montag nächster Woche?

Vom linearen zum transformativen Denken, Fühlen und Handeln

Brandaktueller Kern der klassischen Zukunftswerkstatt ist der Perspektivenwechsel: Statt Tendenzen aus der Vergangenheit in die Zukunft zu verlängern und damit in der „Mehrdesselben- Falle“ stecken zu bleiben, schlägt Jungk den Wechsel von linearen zum transformativen Denken vor: In der Phantasiephase lösen wir uns von den Begrenzungen der Gegenwart und schaffen einen Möglichkeitsraum, in dem LehrerInnen, Eltern, SchülerInnen, Schulverwaltung und sonstige an Schule beteiligten Personen das Lernen und die Schule der Zukunft erfinden: Wie sehen eine zukunftsfähige Schule, ein optimaler Unterricht, eine Umgebung, in der Spitzenleistung und Wohlbefinden zusammenkommen, aus?

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Abb.1: Vom linearen zum transformativen Denken

Wertschätzung als Schlüssel

Während es im Kontext der politischen Auseinandersetzungen in der klassischen Zukunftswerkstatt sinnvoll war, mit einer Kritikphase zu beginnen, die dann in eine mögliche andere Zukunft „gewendet“ wird, erweist sich dieses Vorgehen im Rahmen von Schulentwicklung als ungeeignet, weil es nur bestehende Resignationshaltungen verstärkt. Im Sinne der „Positiven Pädagogik“ (Burow, 2011) beginnt die Neue Zukunftswerkstatt deshalb mit einer „Wertschätzenden Befragung“. Im Zentrum stehen folgende Leitfragen: Was ist uns gelungen? Was sind unsere Erfolgsprinzipien? Wovon wollen wir mehr? Jeder Teilnehmer, jede Teilnehmerin sucht zunächst für typische Erfolgssituationen ein Symbol, schreibt dazu eine Überschrift und skizziert darunter die Elemente, die diese Situation so erfolgreich gemacht haben:

a) Einzelarbeit

Erinnern Sie eine Situation, in der Sie gute Leistungen erzielten und der Umgang miteinander so war, wie Sie es sich wünschen. Schreiben Sie diese Situation auf, versehen Sie sie mit einem Titel oder Begriff und finden Sie ein Symbol dafür.

Anschließend versammeln sich alle auf dem „Marktplatz“ und bilden nach ähnlichen Symbolen Gruppen, die drei Aufgaben haben.

b) Gruppenarbeit:

  1. Tauschen Sie die Geschichten aus.
  2. Einigen Sie sich auf drei Erfolgsprinzipien für „gute Schule“ und benennen Sie drei Haupthindernisse.
  3. Wählen Sie eine Geschichte fürs Plenum.
Das Wissen der Vielen freisetzen: W3: Wertschätzende Befragung
Abb. 2: Wertschätzende Befragung – Austausch auf dem Marktplatz

In der Gruppe stellen alle ihre Geschichte vor. Die Gruppe einigt sich dann auf drei gemeinsam geteilte Erfolgsprinzipien, die sie auf grüne Karten schreibt; ein Hindernis wird auf eine rote Karte geschrieben. Weiter wählt jede Gruppe eine Geschichte für die Präsentation im Plenum.
Auf diese Weise erhalten wir in kürzester Zeit nicht nur bis zu 100 Erfolgsgeschichten, sondern auch eine Einsicht in das Erfolgswissen der Beteiligten („tacet knowledge“), das anschließend im Plenum geclustert wird. Dafür eignen sich Tools, mit denen die Häufigkeit einer Nennung und damit die Erfolgsfaktoren sich in der Größe der Buchstaben spiegeln.

Erfolgsprinzipien gelingender Lehr-/Lernsituationen aus Sicht von Lehrer/innen
Abb. 3: Erfolgsprinzipien gelingender Lehr-/Lernsituationen aus Sicht von Lehrer/innen

Symbolisierung schafft emotionale Resonanz

Auch die sich anschließende Visionenphase beginnt damit, dass die TeilnehmerInnen ihre Zukunftsvisionen auf die obere Hälfte eines in der Mitte gefalteten Blattes mit Ölkreiden skizzieren, um darunter die angestrebten Veränderungspunkte zu benennen. Wie Ernst Pöppel (2006) gezeigt hat, setzen Bildungseinrichtungen vor allem auf die Vermittlung von explizitem Wissen, das gut geeignet ist, komplexe Sachverhalte zu erfassen. Da es aber ich-fern ist, hat es so gut wie keine Auswirkungen auf Verhaltensänderungen, die ja das Ziel von Schulentwicklungsverfahren sind. Dagegen steht das „pictorial knowledge“, das Bildwissen, das sehr viel besser geeignet ist, unsere Wünsche, Erfahrungen und Sehnsüchte auf den Punkt zu bringen. Innere Bilder, das hat Gerald Hüther (2004) gezeigt, steuern unsere Handlungen und Haltungen. Der Austausch solcher Bilder ist ein bislang unterschätztes Mittel, um Menschen und Organisationen in Bewegung zu bringen.

Austausch von Glücksgeschichten
Abb. 4: Austausch der individuellen Visionen als Basis für die Bildung gemeinsamer Zukunftsbilder

Von der Vision zum Leitbild und Change Code

Bisweilen setzen wir sogar einen professionellen Zeichner ein, der aus den individuellen Bildern ein gemeinsames Zielbild gestaltet, das am Ende des Prozesses als orientierendes Poster den TeilnehmerInnen mitgegeben wird. Der Austausch von Symbolen und die Einigung auf eine bildhafte, gemeinsame Vision sind wichtige Mittel, um Energie und Leidenschaft als wichtigste Treiber des Wandels freizusetzen.
Weiterhin unterstützen wir die Teilnehmer/innen einen „Change- bzw. Zukunftscode zu entwickeln, der aus drei Kernwerten besteht, die der weiteren Entwicklung der Schule Ziel und Richtung geben.
Für die katholische Fachhochschule Linz lautete der Zukunftscode z.B. „wertebasiert – professionsbildend – praxisstark“. In einem mehrjährigen Prozess geht es dann darum, diese Werte in allen Bereichen der Organisation zu verankern und wirksam zu werden.

Ein Beispiel aus dem Unternehmensbereich

Dieses Verfahren wenden wir auch in der Wirtschaft an. So haben wir (Burow & Enders) in einem Führungskräfteworkshop den Zukunftscode und das Leitbild für den kommunalen Energielieferanten EAM (ehemals EON) entwickelt:

Indem wir wissen wo wir hin wollen! Unsere Vision ist fixiert – die Reise hat begonnen
Abb. 5: Zukunftscode und Leitbild

Veränderungsprojekte konkretisieren

Während sowohl die Wertschätzende Befragung wie auch die Visionenphase Freude, Kreativität und Energie freisetzen, stellt der Übergang zur Realisierungsphase den schwierigsten Punkt der Neuen Zukunftswerkstatt dar, wird doch hier nicht nur die Diskrepanz zwischen den Zielvorstellungen und der Wirklichkeit schmerzlich erfahren, sondern dämmert auch die Erkenntnis, dass die Umsetzung der Visionen Engagement erfordert.
Aus diesem Grund bilden wir in dieser Phase nur Gruppen, die sich nach Interessen formieren. Hier zeigt sich, wie viel Veränderungsenergie im Kollegium vorhanden ist. Für die Erarbeitung der Umsetzungspläne haben wir das abgebildete Poster DIN A0 entwickelt, auf dem die Gruppen möglichst anschaulich und attraktiv ihren Umsetzungsplan beschreiben. Es folgt eine Ausstellung der geplanten Projekte. Die gesamte Neue Zukunftswerkstatt wird prozessbegleitend fotografisch dokumentiert und endet mit einer Beamershow der geleisteten Arbeit, die zusätzlich als Dokumentation und für die Öffentlichkeitsarbeit zur Verfügung steht.

Abb. 6: Präsentation der Umsetzungsschritte mit dem Ergebnisposter
Abb. 6: Präsentation der Umsetzungsschritte mit dem Ergebnisposter

Zukunftswerkstatt Abbau von Belastungen

Die von uns entwickelte Neue Zukunftswerkstatt kennt eine Vielzahl anforderungs- und aufgabenbezogener Modifikationen. Erfolgreichstes Modell ist die von Burow & Rolff an der DAPF seit vielen Jahren durchgeführte Zukunftswerkstatt „Abbau von Belastungen“, an der bislang über 800 SchulleiterInnen teilgenommen haben. Auch sie folgt dem klassischen Dreischritt, wobei wir hier allerdings mit einem Überblicksreferat von Studien zum Belastungserleben beginnen und die Wertschätzungsphase durch eine Diagnosephase ersetzen. Die LehrerInnen benennen zunächst die drei aus ihrer Sicht wichtigsten Hauptbelastungspunkte, bilden dann Gruppen, die sich über ihre Belastungen austauschen. Sie entwickeln dann ein Diagnoseplakat, mit dem sie der Gruppe den Charakter der Belastung darstellen sowie analysieren, was an den Rahmenbedingungen liegt, was an der Kommunikation im Kollegium liegt und worin der eigene Anteil besteht. Auf diese Weise erhalten wir in ca. 90 Minuten bis zu zwölf Diagnosen, die eine verblüffende Übereinstimmung aufweisen: Die meisten LehrerInnen fühlen sich unter Zeitdruck und überfordert durch zu enge Rahmenvorgaben sowie immer neue Anforderungen.

Abb. 7: Diagnoseposter in der Diagnosephase
Abb. 7: Diagnoseposter in der Diagnosephase

In der Visionenphase entwickeln die KollegInnen nun Vorstellungen einer „gesunden Schule“, für die sie in der Realisierungsphase konkrete Vorhaben und Umsetzungsschritte benennen.

Die Neue Zukunftswerkstatt ist praktizierte Salutogenese

Wie wir mit der Zeit erkannt haben, ist der Aufbau der Zukunftswerkstatt selbst ein Beitrag zur Entlastung, folgt sie doch den drei Faktoren der Salutogenese Antonovskys. So zielt die Wertschätzungs- oder Diagnosephase im Sinne der Salutogenese auf „Verstehbarkeit“; die Visionenphase auf „Bedeutsamkeit“ und die Realisierungsphase auf „Handhabbarkeit“. Die Beachtung dieser drei Aspekte ist laut Antonovsky Kennzeichen stressresistenter Personen und ermöglicht Kohärenzerleben und damit den Aufbau „gesunder Schulen“. Gleichzeitig realisiert die Zukunftswerkstatt die Selbstbestimmungstheorie Deci & Ryans und ermöglicht „Wertschätzende Schul- und Organisationsentwicklung“. Sie basiert auf den „magischen 3×3“ und ist ein wirkungsvolles Instrument, um Veränderungsprozesse anzustoßen.

Abb. 8: Der Leadership-Kompass oder die "magischen 3x3" der Schul- und Organisationsentwicklung
Abb. 8: Der Leadership-Kompass oder die „magischen 3×3“ der Schul- und Organisationsentwicklung

Literatur

  • Antonovsky. A. & Franke A. (1997). Salutogenese: Zur Entmytifizierung der Gesundheit. Tübingen: DGVT-Verlag.
  • Burow, O.A. (2016): Wertschätzende Schulleitung. Der Weg zu Lernfreude, Wohlbefinden und Spitzenleistung. Weinheim: Beltz
  • Burow O.A. (2015): Team-Flow: Gemeinsam wachsen im Kreativen Feld. Weinheim: Beltz.
  • Burow O. A. (2011). Positive Pädagogik. Sieben Wege zu Lernfreude und Schulglück. Weinheim: Beltz.
  • Burow, O. A. & Neumann-Schönwetter, M. (Hrsg.) (1998). Zukunftswerkstatt in Schule und Unterricht. Hamburg: Bergmann & Helbig.
  • Harazd, B., Gieske, M. & Rolff, H.-G. (2009). Gesundheitsmanagement in der Schule. Lehrergesundheit als neue Aufgabe der Schulleitung. Köln: Wolters Kluwer.
  • Hüther, G. (2004). Die Macht der inneren Bilder. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht.
  • Jungk, R. & Müllert, N. (1989). Zukunftswerkstätten. Mit Phantasie gegen Routine und Resignation. München: Heyne (Nr. 73).
  • Pöppel, E. (2006). Der Rahmen. Ein Blick des Gehirns auf unser Ich. München: Hanser.
  • Robinson, K. (2010). In meinem Element. München: Goldmann.
  • Robinson, K. auf youtube; online verfügbar unter: www.youtube.com/watch?v=zDZFcDGpL4U (28.9.2014).